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Herausforderung agile Transformation - ein Interview von Workpath-Gründer Johannes Müller mit Boris Gloger

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Dieser Artikel zur Herausforderung agile Transformation entstand aus einem Gespräch von Workpath Gründer Johannes Müller mit Boris Gloger.

Boris Gloger begleitet als Gründer und Geschäftsführer von borisgloger consulting seit 2010 Unternehmen auf ihrem Weg in eine agile Zukunft und unterstützt sie dazu in der Gestaltung und Umsetzung von  Transformations- und Innovationsprozessen. Im Workpath Magazin spricht er mit Johannes Müller über die größten Entwicklungen und die Herausforderung agile Transformation. Sowie auch über verschiedene Ansätze der Kollaboration in Organisationen. Boris Gloger befasst sich seit 2001 ausführlich mit Scrum und wurde 2004 „Certified Scrum Trainer”. Seine erste große Implementierung von Scrum fand 2005 bei web.de statt, 2008 implementierte er den Prozess bei der Scout Gruppe. Ursprünglich kam Boris Gloger aus dem E-Commerce Sektor, und arbeitete daran, agile Projekte schneller und effektiver durchzuführen – als noch die wenigsten ahnen konnten, dass dies die Anfänge der Digitalisierung waren.

Johannes Müller: Was sind aktuell aus deiner Sicht die größten Herausforderungen in Unternehmen im Kontext der digitalen Transformation? Hast du Beispiele dafür, was der Agilisierung etablierter Organisationen aktuell vor allem im Weg steht?

Boris Gloger: Aus der Erfahrung der letzten 10 bis 15 Jahre kann ich sagen, dass von Agilität immer etwas gefordert wurde, was das klassische Management selbst nie erreicht hat. Die Ansprüche an Agilität waren von Anfang an sehr hoch. Sie sollte sicherstellen, dass weltweit effektiv und gut abgestimmt an Projekten gearbeitet wird. Ungesagt stand jedoch schon immer die These im Raum, dass der klassische Steuerungs- und Projektmanagementansatz dies könne. Bis mir dann mal aufgefallen ist: Die hohen Ansprüche kamen auf, weil genau dieser Ansatz das Problem niemals löst – sonst würden Projekte ja nicht immer wieder scheitern. Das war für mich das Aha-Erlebnis. Ich erlebe viele Consultants und Manager in Unternehmen, die agile Prinzipien als sinnvoll empfinden, aber Scrum und ähnliche Methoden nicht wirklich implementieren. Nach dem Start bremsen sie diese eher wieder, nur um am Ende ihr Heil wiederholt in traditionellen Ansätzen zu suchen. So nachvollziehbar das ist: Ohne die direkte Umsetzung in der Praxis wird sich in diesen Unternehmen nicht viel ändern. Man lernt ja auch kein Fahrrad fahren durch die alleinige Überlegung theoretischer Prinzipien. Oder ein Musikinstrument, indem man nur die Prinzipien, die damit einhergehen, recherchiert (zum Beispiel die richtige Handhaltung). Sondern man lernt es dadurch, indem man sich so lange praktisch damit auseinandersetzt, bis man es beherrscht und versteht, wie Musik und das Instrument funktionieren.Johannes Müller: Das ist ein schönes Bild. Klar, Agilität und agile Methoden stehen bei vielen heute auf der Agenda. Über diese Schlagworte werden Dienstleister gefunden und gekauft. Wir haben aber im Gespräch mit Unternehmen gemerkt, dass man sich initial von diesen Buzzwords und sperrigen Klammerbegriffen lösen muss, um dahinter zu schauen und Erfolge zu erreichen. Dies kann unterschiedlich interpretiert und gewichtet werden.

Für mich ist und bleibt immer die Kernfrage: Was will man eigentlich erreichen? Was sind eigentlich die Grundideen, die hinter diesen Frameworks wie zum Beispiel OKR stehen? Und genau damit versuchen wir die entsprechenden Führungskräfte zu erreichen.

Die größte Herausforderung ist aus unserer Sicht, über das etablierte Effizienzdenken hinaus und auf den Kern der unternehmerischen Probleme zu kommen. Oft kommt direkt die Frage, wie viel Effizienzgewinn sich mit einem neuen Prozess erreichen lässt.

Hier muss man erst einmal klar machen, dass es um sehr viel Grundlegenderes geht und dass es mehr um Effektivität, Anpassungsfähigkeit und Geschwindigkeit als um Effizienz geht.

Effizienz ist eben kein Wettbewerbsvorteil mehr. Für die neuen Wettbewerbsvorteile heutiger Märkte müssen oft auch erst die richtigen Metriken und Messzahlen für eine sinnvolle ROI-Rechnung gefunden werden. Daran arbeiten wir intensiv mit Workpath.Um aber zu deinem Bild des Musikinstruments zurückzukommen, stimme ich dir voll und ganz zu, dass neben einem geteilten Bewusstsein und Verständnis für die Probleme auf einer strukturellen Ebene, vor allem das schnelle praktische Tun und ein “einfach machen” für den Erfolg notwendig sind. Man muss dem Unternehmen und seinen Teams die Eintrittsbarrieren für den Start in neue Arbeitsprozesse nehmen, um möglichst schnell aufzeigen zu können, wo die relevanten Lücken liegen zwischen dem, wie das Unternehmen eigentlich zukünftig arbeiten will und dem, wie diese Organisation sich heute verhält und kulturell gepolt ist. Im ersten Jahr sehen wir daher auch Workpath eher als ein Diagnosewerkzeug, das das Delta zwischen dem Ist- und dem Soll-Zustand aufzeigt und es möglichst greifbar und wiederholbar macht. Ab da kommt Beratung ins Spiel, kombiniert mit einer laufenden internen Befähigung durch Trainings und Coaching. Immer wenn Widerstände aufkommen, heißt das nämlich nicht, dass der neue Prozess, z.B. mit OKRs nicht zur Organisation passt.

Vielmehr ist es so, dass immer wenn Zweifel und Argumente auftreten wie „Scrum passt nicht zu uns“, lohnt es sich hinzuschauen. Weil genau da ein Mismatch zwischen der bestehenden Kultur, den bestehenden Leitsätzen und den neuen angestrebten Prinzipien besteht.

Wie siehst du das?

Boris Gloger: Genau das finde ich auch. Wir haben schon immer gesagt: Scrum ist ein Diagnosetool. Immer dann, wenn es kracht, muss man hinschauen und den Grund herausfinden. Das heißt, wenn es nicht so funktioniert, sollte man nicht schauen, ob das Tool fehlerhaft ist, sondern sich überlegen, wo der Widerstand herkommt. Deshalb war uns bei borisgloger consulting von Anfang an auch wichtig, uns selbst echtes agiles Arbeiten beizubringen. Menschen, die es nicht selbst in der Praxis erleben, können es auch nicht korrekt einsetzen und bei der Implementierung in anderen Unternehmen unterstützen.

Menschen, die agiles Arbeiten nicht im Kontext ihres normalen Umfeldes einsetzen können, profitieren nicht davon.

Man kann als Consultant nicht in eine Organisation gehen, ohne sich davor einen Referenzrahmen zu bauen, der einem selber zeigt, wie es „richtig” ist. In einem Umfeld, das bereits agil und digital aufgestellt ist, kann man sich eine solche Referenz schaffen. Das ist die hidden agenda hinter unserer Organisation. Ich weiß nicht, ob man das immer noch so sagt, aber früher hieß es immer „eat your own dogfood“. Und genau das ist uns wichtig in unserem Unternehmen. Wir versuchen, die Prinzipien, die wir dem Kunden vermitteln und die wir manchmal selber noch gar nicht richtig begreifen können, weil wir alle nur Menschen sind und uns in diesem Gebiet noch entwickeln, bei uns selbst anzuwenden. Johannes Müller: Das Schwierige ist dann ja immer auch, Führungskräfte zu überzeugen, die schon länger in dem Unternehmen sind und mit den alten Prinzipien sehr lange äußerst erfolgreich waren. Das war lange ein sich selbst verstärkendes System, weil einerseits die Organisation so aufgesetzt war, dass man mit dem traditionell-tayloristischem Management erfolgreich war, andererseits auch der Markt vor 20 Jahren noch etwas Anderes bzw. weniger gefordert hat.

Was ist deine Einschätzung, Boris. Gibt es denn, bevor man die großen Prozesse angeht, Ideen wie man mit möglichst kleinen Schritten, diesen Erkenntnisprozess beschleunigen kann. Also dieses „Aufbrechen"?

Boris Gloger: Das ist etwas, was ich momentan sehr viel mache. Ich arbeite in einer großen Bank mit Unterstützung einer Person aus dem HR-Bereich, die Agilität fördern möchte und dazu ein Führungskräfteentwicklungsprogramm zu dem Thema Agilität entwickeln wollte. Ich habe ein dreieinhalb-tägiges Programm für sie realisiert, das über fünf Etappen geht. Wir haben eigentlich versucht, ganz klassische Line-Manager mit ein wenig agilem Führungs-Know-how auszustatten. Einiges, was in meinem Buch (Selbstorganisation braucht Führung) vorhanden ist, habe ich versucht, in kleinen Häppchen ausschnittsweise zu präsentieren. Das Verrückte an diesem Programm, das wir zum zweiten Mal dieses Jahr machen, ist, dass die Leute, die da waren, plötzlich ausstrahlen und zu Multiplikatoren werden können. Also ich würde noch nicht sagen, dass die Organisation agil ist oder dass in allen Abteilungen, in denen es ausprobiert worden ist, die Menschen hoch-agil arbeiten würden. Aber der Gedanke, dass man mit moderneren Methoden, einer anderen Herangehensweise oder Haltung etwas völlig anderes erreicht, ist angekommen. Johannes Müller: Ja, wir haben auch relativ schnell gesehen, dass wir Unternehmen etwas anbieten müssen, bevor sie für unsere Prozess- und Softwarelösung bereit sind. Je nachdem, wie weit sie sind und ob es schon eine kritische Masse an Führungskräften gibt, die den Wandel gestalten können. Das geht dann in verschiedene Trainingsformate. Wir haben eine Community, die Pathfinder-Community, die dafür steht, dass „wir zwar ein Set von Prinzipien und Werkzeugen haben, aber am Ende alle auf der Suche sind, wie wir es richtig machen können“. In diesem Rahmen arbeiten wir daran unter anderem auch mit Partnern, was es für Trainingsformate geben kann, um diese Werkzeuge möglichst einfach, aber auch schnell erlebbar zu machen. Nicht durch Frontalunterricht oder ein Buch, sondern genau wie du es beschreibst, dadurch dass die Führungskräfte in ein Team gehen und es selber ausprobieren und so Keimzellen schaffen.

Wenn ihr diese Workshops macht, ist das dann viel Simulation und auch interaktiv ausprobieren?

Boris Gloger: Ich versuche in meinen Formaten, das Training so zu gestalten, wie die Leute später arbeiten sollen. Beispielsweise rede ich nicht über den Open Space. Sondern ich lasse sie mithilfe von Open Space ihre eigenen Themen in diesem Workshop bearbeiten. Das heißt, ich erkläre die Prinzipien und dann sollen die Teilnehmer einen Open Space machen, damit sie es erlebt haben. Das ist der Unterschied zu vielen anderen. Die Unternehmen sollen in meinen Trainings direkt damit arbeiten, anstatt mit fiktiven Themen nur zu simulieren. Das geht mal mehr, mal weniger. Manchmal muss man dann doch einen oder zwei Tage lang einfach nur konsequent Wissen vermitteln, weil manche Banalitäten, gewisse Praktiken und Grundsätze, die auch schon 30 Jahre alt sind, noch nicht bekannt sind. Man darf nicht davon ausgehen, dass jeder auf dem gleichen Wissensstand ist und so ist jedes Training auch immer unterschiedlich.

Johannes Müller: Heißt das, dass es einen gewissen Werkzeugkasten gibt, der dann immer auch an die Situation angepasst werden muss? Du hast ja genau zu diesem Thema schon ein Buch geschrieben. Versucht ihr auch ein Stück weit Produkte und Workshop-Formate zu entwickeln, mit denen andere im Unternehmen dann arbeiten können?

Boris Gloger: Ich glaube, dass ein Starter-Kit das nötige Mindset nicht vermittelt. Das kann bei jemandem funktionieren, der dieses Bewusstsein schon angenommen hat und mit dem Werkzeug umgehen kann. Deswegen glaube ich nach wie vor an Trainer und Consultants als initiale Impulsgeber und Vermittler.

Johannes Müller: Eine Frage vielleicht noch, du hast das kurz angeschnitten: Oft sagen Unternehmen, die Voraussetzungen sind noch nicht geschaffen, um diese Schritte zu gehen oder diese Methodik einzuführen. Glaubst du, dass es gewisse Grundvoraussetzungen gibt, ohne die es keinen Sinn macht, über Agilisierung, Scrum, OKRs etc. nachzudenken? Oder ist das die falsche Haltung, weil man damit anfangen muss und es sich dann erst verändern lässt?

Boris Gloger: Die Frage kann man so einfach nicht beantworten. Ja, der letzte Satz ist korrekt, man muss tatsächlich anfangen und dann wird sich etwas verändern. Gleichzeitig brauchst du die Bereitschaft in der allerobersten Führungsebene, sich auf diese Reise zu begeben. Wir sind immer dann gnadenlos gescheitert, wenn wir darauf nicht geachtet haben. Deswegen würde ich sagen, man sollte schauen, ob ein Fit zwischen der eigenen Funktionsweise und der des Kunden besteht. Genauso ist das bei uns. Es kann nicht identisch sein. Weil es ja sonst kein Problem gäbe und auch keine Themen, an denen man miteinander arbeiten kann. Man sollte sich aber zumindest gut miteinander verstehen. Ich rede nicht von Freundschaft, aber wenigstens von gegenseitigem Respekt, sonst wird das nicht funktionieren. Da haben wir uns schon zwei, drei Mal ganz schön die Finger verbrannt. Ich rede nicht von „klassischen Widerstandsfragen“ hinter denen Unverständnis getarnt ist, sondern von massivem Widerstand. Mittlerweile würde ich sogar so weit gehen, zu sagen:

Wenn der Wertekanon deines Unternehmens und der des Kunden nicht einmal annäherungsweise deckungsgleich ist, wird die Zusammenarbeit scheitern.

Klassiker wie Agilität oder auch Ehrlichkeit und Offenheit sind sehr wichtig für uns. Dann kommst du in eine Organisation, in der sich ständig nur gegenseitig das Bein gestellt wird. Etwas, das gar nicht mit unseren Prinzipien zu tun hat. Sowas geht nicht lange gut. Johannes Müller: Vielen Dank, Boris. Sehr spannend. Die oberste Etage muss mitgehen. Das erleben wir immer häufiger. Da gibt es einen unheimlich starken Zug aus der Mitarbeiterschaft. Es gibt Lippenbekenntnisse aus der Führungsebene: „Ja, wir machen das“. Aber man weiß, dass sie das gar nicht können oder dass sie es nicht schnell genug mittragen. Gerade im Kontext OKRs sehen wir immer mehr, dass es mit hybriden Strukturen funktionieren kann. Das heißt, die klassische Führungskraft in Linienverantwortung wird nicht den OKR Workshop moderieren, verliert dabei aber auch nicht ihre Position. Es gibt jemand anderen aus dem Team, der in diesem Kontext die informelle Führung, beispielsweise als OKR Coach, übernimmt. Genauso können diese OKR Coaches, die bei der Einführung unterstützen sollen, der Geschäftsleitung helfen, deren strategische Ziele, die ganz oft nur Finanzkennzahlen sind, zu überarbeiten. Kundenorientierte Ziele, die die Mitarbeiter verstehen und an denen sich die Mitarbeiter ausrichten, sollten im Fokus stehen. Das kommt nicht von den Managern, sondern eben aus dieser hybriden Struktur. Außerdem wäre es ein spannender Gedanke, was sich damit alles machen lässt.