Agile Coach Michal Vallo teilt seine Gedanken zum Thema Erfolgsmessung von agilen Transformationen. Basierend auf seiner Erfahrung und Forschung hat er ein Framework entwickelt, um den Nutzen des Transformationsprozesses zu bewerten. Im Folgenden erklärt er die vier Dimensionen, die für erfolgreiche Transformationen nötig sind: Organisation, Motivation, Wertschöpfung und Reaktion auf Veränderungen. Viel Spaß beim Lesen!
Die Anzahl agiler Transformationen nimmt exponentiell zu. Aber erhalten wir auch echte Ergebnisse? Und was ist die Motivation oder die Erwartungen dahinter? Ich habe in letzter Zeit mehrere Verantwortliche von agilen Transformationen aus verschiedenen Unternehmen getroffen. Ich habe sie gefragt, warum sie sich der Transformation unterziehen und was ihre Organisationen damit zu erreichen versuchen. Ihre Antworten haben mich sehr überrascht. Es gibt natürlich viele Gründe, deshalb werde ich hier nur die häufigsten nennen.
- Unternehmen XY hat eine Transformation begonnen, deshalb müssen wir auf den Zug aufspringen.
- Uns wurde vom Management-Team gesagt, Agile zu machen,
- also müssen wir ein bestimmtes Framework einführen.
Im Allgemeinen beobachtete ich, dass es als unhöflich gilt, Fragen zu Ergebnissen oder Erfolgen zu stellen. Als ich tiefer grub, fand ich einige der zugrundeliegenden Motive - wir müssen schneller liefern, wir müssen mehr Geld verdienen, wir müssen bessere Kontrolle sicherstellen und brauchen eine bessere Qualität, wir brauchen ein besseres Prozessdesign, wir wollen unsere personellen Ressourcen besser nutzen, und viele mehr. Sind das tatsächlich die Gründe, die die agile Transformation liefern soll?
Wenn Sie die Transformation starten wollen, müssen Sie zuerst Ihr Problem verstehen! Das wollte ich, also habe ich ein Meetup in Prag organisiert. Ich wollte erfahren, wie Organisationen die Ergebnisse ihrer agilen Transformationen messen. Mehrere Leute aus verschiedenen Branchen wie Bank, Karosseriebau und Nearshore-Entwicklung, Telekommunikation oder Datenverarbeitung kamen zusammen.
Alle Leute waren an den agilen Aktivitäten in ihren Organisationen beteiligt. Ich begann mit der Frage "Was sind Ihre Erwartungen an diesem Abend?" Ein Besucher sagte mir: "Ich beschäftige mich seit 10 Jahren mit Agile, aber ich habe nie gesehen, wie es funktioniert. Also bin ich aus Neugier hierher gekommen, ob ich tatsächlich jemanden treffen kann, der die Ergebnisse wirklich hat."
"Unsere Bank behauptet, dass wir uns in der agilen Transformation befinden, aber weil es so chaotisch wirkt und sich die Prioritäten oft ändern möchte ich lernen, wie andere es machen", sagte ein anderer.
Wir haben diskutiert, was Agile liefern kann, aber der abschließende Teil, wie wir messen, ob wir etwas erreicht haben, blieb unbeantwortet. Tatsächlich waren sich alle Besucher einig, dass sie nichts konkret messen. Um die Transformation zu rechtfertigen, wird immer wieder das gleiche Klischee verwendet - die IT-Entwicklungen werden schneller, die Qualität höher, die Zufriedenheit der unbekannten Stakeholder größer. Einfach der Stoff, der in jedem agilen Training hart erarbeitet wird. Sie versuchen, in ihren Organisationen das zu machen, was im Moment am populärsten ist, und das ist selten, wenn überhaupt, mit einer Prozessänderung oder einem tieferen organisatorischen Wandel verbunden.Wenn ich das höre, wundert es mich nicht mehr, dass Agile einen schlechten Ruf hat.
Meiner Meinung nach ist Agile ein Dach für eine Reihe von (Management-)Techniken zur kontinuierlichen Verbesserung der Organisation. Es ist die Art und Weise, wie wir die Arbeitsgestaltung modifizieren und an die sich verändernde externe Umgebung anpassen können. Insbesondere an den Wandel von der Industrie- zur Wissensökonomie und darüber hinaus zur Kreativwirtschaft.
Über diesen Wandel schreibe ich in meinem Artikel Introduction to Agile and Agile Transformation - Environment und nutze zum besseren Verständnis ein Farbschema aus dem Buch “Reinventing Organizations” von Frederic Laloux. Nur eine Zusammenfassung: Es gibt heute verschiedene Arten von Organisationen. Darunter solche, die nach dem Orange-Paradigma aufgebaut sind, das die industrielle Wirtschaft repräsentiert. Und diejenigen, die um das grüne Paradigma herum aufgebaut sind, das die Wissensökonomie und vielleicht ein bisschen die aufstrebende kreative Wirtschaft repräsentiert. Ich bin mir sicher, dass die Erwartungen an Unternehmen innerhalb beider Paradigmen unterschiedlich sein sollten.
Und es gibt einen weiteren Unterschied. Im orangen Paradigma wird erwartet, dass Ergebnisse geliefert werden, egal was passiert. Dass wir auf dem Weg dorthin den tropischen Regenwald zerstören, das Ökosystem verseuchen, die Lebensmittel vergiften oder die Behörden korrumpieren, toleriert die Organisation dabei. Im grünen Paradigma und den folgenden wird ein solches Verhalten von der Öffentlichkeit und den Kunden nicht toleriert. Zur Vereinfachung habe ich viele andere Parameter außer Acht gelassen.Wenn ich mir die agilen Transformationen in den Organisationen anschaue, die ich kennengelernt habe, bekomme ich den Eindruck, dass die meisten Erwartungen aus dem Orange-Paradigma stammen. Nur sehr wenige, wenn überhaupt, kommen aus dem grünen Paradigma.
Was sollte man also stattdessen messen?
Ich denke, es gibt keine bestimmten, standardisierten Metriken in Bezug auf die Agile Transformation. Und die kann es auch nicht geben. Selbst mit einer oberflächlichen Transformation mit einigen wenigen neuen Prozessen sollte die Messung auf das Geschäftsproblem ausrichten werden, das die Transformation ausgelöst hat, oder auf die Probleme, die wir auf dem Weg dorthin angetroffen haben. Was zu messen ist, ist normalerweise nicht statisch. Auf dem Weg können wir weitere Attribute hinzufügen, um etwas im Detail zu betrachten. Oder wir können einige Messungen aufgeben, wenn sie nicht mehr notwendig sind. Es wird nur sehr wenige Maßnahmen geben, die die ganze Reise über beständig bleiben. Johanna Rothman bringt es in ihrem Artikel "Where I Think ‘Agile’ is Headed" sehr schön auf den Punkt. Sie schlägt dort einen sehr einfachen und geradlinigen Ansatz vor. Es geht um geschäftliche Parameter:
- Neue Kunden zu halten und zu gewinnen.
- Halten und Einstellen neuer Mitarbeiter, die von der Arbeit begeistert sind.
- Entscheiden, wann es an der Zeit ist, alte Produkte und Dienstleistungen in den Ruhestand zu schicken und wann neue Produkte und Dienstleistungen für die Kunden und Mitarbeiter eingeführt werden sollten.
Und sie fügt hinzu, dass es dabei nicht um einen direkten Ansatz zur "Steigerung des Shareholder Value" geht, sondern um eine Steigerung des Wertes dieser drei Punkte. Meiner Meinung nach passt das sehr gut zum Paradigma der Grünen.
Ein ganzheitlicher Ansatz zur Bewertung der Agilen Transformation
Wenn ich tiefer in die Pläne und Strategien der Organisationen eindringe, kann ich oft die Diskrepanz zwischen dem Planungsprozess, den erwarteten Ergebnissen und den Abläufen erkennen. Die erwarteten Ergebnisse (auch bekannt als Ziele) werden oft vom Management künstlich definiert. Diese werden dann in etwa so formuliert: "der gleiche Umsatz/Gewinn wie im letzten Jahr + 20, 30 oder 50%”. Es handelt sich also nur um eine neue Zahl. Die Erwartungen werden selten in Aktivitäten und Ziele für verschiedene Teile der Organisation übersetzt.
Dies ist der Fall, wenn unrealistische finanzielle Ziele auferlegt werden, während keine Vertriebsinformationen oder Daten diese Erwartungen unterstützen. Außerdem sind keine Kapazitäten, Fähigkeiten oder Ressourcen vorhanden, um solche Ziele zu erreichen, und es sind auch keine Maßnahmen geplant, damit umzugehen.
Das Ergebnis ist Frustration und Verwirrung. Die Menschen in der Organisation konfigurieren sich dann in einen Business-as-usual-Modus. Dadurch werden sie von der Organisation abgekoppelt und werden dazu gedrängt, "mit 120% zu arbeiten", während sie keine Zeit finden, nach rechts oder links zu schauen. Eine solche Situation kennen wir aus den traditionellen Organisationen, sie ist aber auch nicht ungewöhnlich bei denen, die vorgeben, Agile zu machen.
Ich schlage vor, die agile Transformation ganzheitlich zu betrachten. Meiner Erfahrung nach lässt sich der Fortschritt der organisatorischen Veränderung beobachten und messen. Und Veränderung kann nicht nur in einem Teil der Organisation stattfinden, z.B. in der Softwareentwicklung, denn nach LEAN kann lokale Optimierung Schaden anrichten. Agile Transformation ist allem voran ein Lernprozess. Für die Messung des Erfolgs in unserer agilen Transformation können wir versuchen, Maßnahmen zu finden, die uns zeigen, wie die Organisation sich dabei entwickelt.
Es gibt Lead Indicators und Lag Indicators, die wir definieren und beobachten können. Mit den Lead Indicators können wir messen, was wir tun, oder wie sehr wir eine bestimmte Aktivität anwenden. Lag Indicators sagen uns, wie die Organisation auf die Veränderungen reagiert. Dabei ist zu beachten, dass eine Organisation ein komplexes adaptives System ist, deshalb ist die direkte Korrelation zwischen unseren Handlungen und der Reaktion dieses Systems meist nicht vorhersehbar.
Organisationsebene
Auf der Organisationsebene ist es völlig in Ordnung, Geschäftsergebnisse, Umsatz, Gewinn oder Anzahl der Neukunden zu beobachten. Diese sagen jedoch nur wenig darüber aus, wie sich die Organisation tatsächlich verändert. Daher schlage ich vor, Messungen hinzuzufügen, um die Anzahl der von uns umgesetzten Innovationen oder Verbesserungen, und deren Auswirkung zu sehen. Darüber hinaus ist es sinnvoll, die Veränderungen in jedem Quadranten des agilen Transformationmodells zu messen.
Motivation
Dies ist der wichtigste Parameter der gesamten Transformation. Wir können beobachten, wie viele der Mitarbeiter bereits in die Veränderung involviert sind und wie sich ihr Engagement verändert. Haben die Mitarbeiter die Möglichkeit zu entscheiden oder fehlen ihnen die entsprechenden Genehmigungen? Nutzen sie ihre Ermächtigung zum Wohle der Organisation? Ein Indikator hierfür könnte die Anzahl der unaufgeforderten Verbesserungsvorschläge sein, die die Mitarbeiter einbringen. Hat das Unternehmen eine Organisationsstruktur, die so gestaltet ist, dass sie Engagement unterstützt? Wie ist die Übereinstimmung zwischen dem Verhalten der Mitarbeiter und der Unternehmenskultur?
Wertschöpfung
Die Wertschöpfung entsteht durch Aktivitäten in der Wertschöpfungskette - den Schlüsselprozessen und der Art und Weise, wie das Unternehmen Geld verdient. Wir können überprüfen, ob die Kette transparent ist und ob operative Entscheidungen mit dem Verständnis der Wertschöpfungskette und des Kontexts getroffen werden.
Haben die Aktivitäten, die die Organisation durchführt, einen Einfluss auf den Kunden? Können wir messen, wie viel? Haben wir die technischen Voraussetzungen dafür, um beispielsweise die Anzahl der Bugs zu messen. Sind unsere Produkte nutzbar, um Feedback von Kunden über ihre Erfahrungen einzuholen. Wie ist die Durchlaufzeit für Deployment? Und wie viele der Aktivitäten, die wir durchführen, sind wertschöpfend?
Reaktion auf Veränderungen
Mit der agilen Transformation werden wir organisatorische Prozesse neu gestalten, um Feedback zu ermöglichen. Das Feedback sollte schnell geliefert werden. Und die Organisation muss die Fähigkeit erlangen, angemessen zu reagieren, sobald Feedback verfügbar ist. Wir versuchen, unnötige Entscheidungsbefugnisse zu eliminieren. Die Entscheidungsbefugnis wird an die Personen in der Organisation delegiert, die dem Kunden am nächsten sind und die besten Informationen für eine solche Entscheidung haben. Wir können den Fortschritt von laufenden Änderungen überwachen: Ermöglichen die Prozesse eine schnelle Rückmeldung? Erlauben die Prozesse, den Kurs zu ändern? Wie viel Zeit wird für die Bearbeitung eines Kundenauftrags benötigt? Und wie viel Zeit wird benötigt, um die Entscheidung der Geschäftsführung umzusetzen? Wird die Information über den Zustand des Betriebes konsistent und transparent an alle, die sie benötigen, weitergegeben? Wissen wir, wohin wir uns bewegen?
Wissensmanagement
Um in den vorherigen drei Quadranten handlungsfähig zu sein, müssen Organisationen in Wissen investieren. Nicht einmalig, sondern um ein System des kontinuierlichen Aufbaus von Wissen zu implementieren. Das gilt nicht nur für die die Mitarbeiter an der Front oder für einige Entwickler. Sie ist für jeden in der Organisation, einschließlich des oberen Managements. Jeder muss lernen, sich schnell und regelmäßig Wissen anzueignen. Wir können hier die Fähigkeit der Organisation überwachen, systematisch neues Wissen zu erwerben. Gibt es Pläne für die Entwicklung des Humankapitals z.B. persönliche Entwicklungspläne, die in die Business Intelligence integriert sind. Was sind die fehlenden Fähigkeiten und wie schnell können sie erworben werden? Zieht die Organisation die richtigen Talente von außen an? Wie sehen die Recruiting-Maßnahmen aus? Gibt es eine klare Rekrutierungsstrategie darüber, welche Art von Mitarbeitern die Organisation braucht und mit welchen Fähigkeiten? Wie viele Patente hat die Organisation angemeldet?
Agile Transformation ist immer eine ganzheitliche Aktivität, deren Ziel es ist, eine Organisation fit zu machen. Die fitte Organisation kann einen besseren Wert und bessere wirtschaftliche Ergebnisse liefern, und darauf kommt es schließlich an.