Interview mit dem Pharmaexperten Doru Dinu
Wir hatten die Gelegenheit, Doru Dinu zu interviewen, einen Experten der Pharmaindustrie aus Rumänien mit mehr als 15 Jahren Erfahrung als Trainer und Berater für einige der größten Unternehmen der Branche. Während unseres Gesprächs erzählte uns Doru von den neuesten Entwicklungen in der Pharmaindustrie, die sich aus dem wirtschaftlichen Abschwung ergeben, und gab Einblicke, wie Pharmaunternehmen auf diese Störungen bei der Umsetzung ihrer Strategie reagieren sollten.
Workpath: Kannst du uns etwas über die größten Herausforderungen erzählen, mit denen Pharmaunternehmen derzeit bei der Umsetzung ihrer Strategien konfrontiert sind? Was macht es für Pharmaunternehmen besonders schwer, ihre Strategie effizient umzusetzen?
Doru: Ich würde sagen, das größte Problem ist eigentlich die Strategie selbst. Viele Beobachter von außen mögen sagen, dass die Pandemie eine großartige Zeit für Pharmaunternehmen war und dass sie am meisten davon profitiert haben. Die Realität sieht jedoch so aus, dass die Auswirkungen auf die gesamte Branche enorm waren und die Erholung sehr, sehr ungleichmäßig verlaufen ist. Für viele Akteure in der Branche war es eine ziemlich harte Zeit.
Ich glaube, das größte Problem, mit dem die Pharmaindustrie derzeit konfrontiert ist, ist die Frage, wie die Unternehmen in diesem sich verändernden wirtschaftlichen Klima relevant bleiben können - sowohl in Bezug auf ihr Geschäftsmodell als auch auf ihre Produktpipeline.
Das traditionelle Modell, alle paar Jahre ein paar Medikamente zu produzieren, um auf dem Markt relevant zu bleiben, ist für viele Unternehmen nicht mehr tragbar, denn die aktuelle Produktpipeline sieht für viele Pharmariesen nicht besonders gut aus. Einige von ihnen versuchen, dies zu vermeiden, indem sie viel Geld in Forschung und Entwicklung stecken, andere suchen eher nach Fusionen und Übernahmen oder Joint Ventures, und wieder andere suchen nach strategischen Partnerschaften mit verschiedenen Marktteilnehmern.
Es ist eine Zeit des Umbruchs, und in der Branche herrscht noch viel Aufruhr. Die größte Herausforderung ist also der Mangel an Klarheit und Fokus, in welche Richtung es gehen soll.
Zusammenfassung:
- Die Pandemie hat die Pharmaindustrie hart getroffen und die Erholung war uneinheitlich
- Die größte Herausforderung ist es, in Bezug auf das Geschäftsmodell und die Medikamentenpipeline relevant zu bleiben.
- Pharmaunternehmen müssen neue, innovative Wege finden, um ihre strategische Klarheit und ihren Fokus zurückzuerlangen
"Es gibt einen großen Druck, die Kosten niedrig zu halten und zu kontrollieren. [...] Das ultimative Ziel ist es, die Patienten stärker in den Mittelpunkt zu stellen, mehr zu vernetzen und gleichzeitig die Gesamtkosten zu senken."
Workpath: Welche Auswirkungen des wirtschaftlichen Abschwungs sind in der Pharmaindustrie zu beobachten?
Doru: Ich würde sagen, dass es neben dem Abschwung an sich auch eine Reihe von erhöhten Druckfaktoren gibt: Es besteht ein großer Druck, die Kosten niedrig zu halten und zu kontrollieren. In Verbindung mit der Tatsache, dass die gesamte Lieferkette aufgrund der Pandemie und der Ereignisse von 2022 immer noch stark unterbrochen ist, führt dies zu einigen Bedenken über die Lebensfähigkeit bestimmter Produkte auf dem Markt.
Andererseits gibt es plötzlich auch ein viel größeres Interesse daran, Größenvorteile zu erzielen und die Effizienz zu steigern, zum Beispiel durch Telemedizin, IoT-verbundene Geräte und gezieltere und individuellere Behandlungen. Die Pharmaunternehmen, aber auch die Regierungen, arbeiten daran, die Gesundheitsversorgung zu verbessern, indem sie nicht nur die Lebensqualität des Einzelnen durch Arzneimittel erhöhen, sondern auch in Präventionsmaßnahmen investieren, die zwar im Vorfeld teurer sind, aber letztendlich zu einer deutlichen Senkung der Behandlungskosten führen. Das ultimative Ziel ist es also, die Patienten stärker in den Mittelpunkt zu stellen, mehr zu vernetzen und gleichzeitig die Gesamtkosten zu senken.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die psychische Gesundheit. Immer mehr Unternehmen konzentrieren sich auf die Entwicklung von Antidepressiva und nicht-medizinischen Ansätzen zur Behandlung von psychischen Problemen. Dieser Bereich wird immer wichtiger, da die Zahl der Angstzustände und Depressionen weiter zunimmt. Der wirtschaftliche Druck und die damit verbundene Ungewissheit werden sich mit Sicherheit zunehmend auf diesen Bereich auswirken.
Zusammenfassung:
- Die Kosten niedrig zu halten ist zu einer der wichtigsten Prioritäten geworden
- Die Suche nach patientenorientierten, aber auch effizienten Lösungen ist das Hauptziel
- Pharmaunternehmen konzentrieren sich jetzt zunehmend auch auf das Thema psychische Gesundheit
Workpath: Du hast davon gesprochen, effizientere Lösungen und Produkte zu finden, wenn es um die Behandlung von Patienten geht, oder Wege zu finden, um besser mit ihnen verbunden zu sein. Aber wie sieht es mit der internen Effizienz in einem Pharmaunternehmen aus? Was können sie tun, um ihre eigenen Prozesse zur Umsetzung der Strategie effizienter zu gestalten?
Doru: In den letzten Jahren haben einige Unternehmen in diesem Bereich damit begonnen, ihre Geschäftsabläufe zu verändern. Der Grundgedanke ist, intern eine schlankere, effektivere und effizientere Struktur zu schaffen. In der Regel arbeiten viele Pharmaunternehmen nach dem Silo-Prinzip mit voneinander getrennten Geschäftsbereichen. Und wie ich bereits erwähnt habe, besteht der Druck darin, mehr zu tun und mit weniger besser zu werden.
Deshalb setzen viele Pharmaunternehmen agile Methoden ein, um den Ausgleich zwischen dem Bedürfnis nach Kontrolle in einer stark regulierten Branche und dem Bedarf an Flexibilität und Agilität zu schaffen. Viele Unternehmen versuchen, innerhalb der Grenzen der Vorschriften innovativ zu sein. In der Vergangenheit haben große Organisationen kleinere Unternehmen gekauft, um Synergien in der Logistik und in der Forschung und Entwicklung zu erzielen, aber das hat sich oft nicht ausgezahlt. Jetzt liegt der Schwerpunkt auf der effektiven Integration der einzelnen Einheiten und der Schaffung einer horizontalen und vertikalen Ausrichtung.
Zusammenfassung:
- Die typische Big Pharma-Organisation besteht aus vielen Silos und unverbundenen Geschäftseinheiten
- Agile Methoden sollen einen Weg finden, die Flexibilität trotz strenger Vorschriften zu erhöhen
- Der Schwerpunkt liegt nun auf der Abstimmung zwischen den verschiedenen Geschäftsbereichen
"Es gibt keine tief hängenden Früchte mehr. [...] Deshalb müssen Pharmaunternehmen eine klare Vision haben und sich auf die Prozesse rund um ihre Cash Cows konzentrieren, die bereits auf dem Markt sind."
Workpath: Was sollten Pharmaunternehmen sonst noch tun, um Risiken zu minimieren, damit sie nicht einfach nur eine weitere Branche sind, die vom wirtschaftlichen Abschwung betroffen ist, und um ihm voraus zu sein?
Doru: Die Vorhersehbarkeit in einem Bereich wie diesem ist tatsächlich sehr, sehr gering. Hinzu kommt, dass die Komplexität im Pharmasektor und die Entwicklung neuer Produkte ständig zunimmt. Es gibt keine tief hängenden Früchte mehr. Vor allem bei seltenen Krankheiten oder neurodegenerativen Erkrankungen geht es um Milliarden von Dollar, Tausende von Wirkstoffen und jahrzehntelange Forschung, die du investieren musst. Gleichzeitig ist es unglaublich schwer, irgendeinen Teil des F&E-Prozesses zu kontrollieren, da er stark reguliert ist und es manchmal einfach Glückssache ist, ob man Erfolg hat oder nicht.
Deshalb müssen Pharmaunternehmen eine klare Vision haben und sich wirklich auf die Prozesse rund um ihre Cash Cows konzentrieren, die bereits auf dem Markt sind. Sobald ein Produkt aus dem Labor kommt, können Pharmaunternehmen es verbessern und effizienter auf den Markt bringen, indem sie agiler und anpassungsfähiger werden und schneller auf veränderte Marktbedingungen reagieren.
Zusammenfassung:
- Die Pharmaindustrie wird immer komplexer
- Alles, was mit Forschung und Entwicklung zu tun hat, ist stark reguliert und schwer zu kontrollieren
- Vor allem die Prozesse nach und um die Markteinführung eines neuen Medikaments können effizienter und anpassungsfähiger werden
"Wenn Pharmaunternehmen jetzt nicht handeln und ihre Arbeitsweise agiler gestalten, ist das Risiko sehr hoch, dass sie sich noch mehr in siloartige, langsam agierende Mammutorganisationen verwandeln."
Workpath: Kannst du sagen, was passieren wird, wenn die Pharmaunternehmen jetzt nicht handeln und nicht damit beginnen, ihre Arbeitsweise zu verändern und agiler zu werden?
Doru: Das größte Problem in der Pharmaindustrie ist die Diskrepanz zwischen dem Wert, der geschaffen wird, und dem Moment, in dem er in der Bilanz des Unternehmens erscheint. Die Pipelines für die Entwicklung neuer Medikamente sind lang und können Jahre oder sogar Jahrzehnte dauern. Wenn die Pharmaunternehmen jetzt nicht handeln und ihre Arbeitsweise flexibler gestalten, ist das Risiko sehr hoch, dass sie sich noch mehr in diese siloartigen, langsam arbeitenden Mammutunternehmen verwandeln, die dann hoffen, dass durch schiere Trägheit und das Volumen der Investitionen schon etwas Gutes passieren wird. In einem solchen Umfeld ist Innovation unmöglich.
Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass man zu einem sehr schlanken Unternehmen wird, das plötzlich ohne Produkt dasteht. Um dieses Risiko zu mindern, müssen die Unternehmen ihre Strategien genau kennen und wissen, woher der Wert kommt, indem sie die langfristigen Gewinne nicht aus den Augen verlieren.
Zusammenfassung:
- Es besteht eine große Diskrepanz zwischen dem Wert, der geschaffen wird, und dem Moment, in dem er finanziell sichtbar wird
- Die Pharmaunternehmen müssen agiler werden, denn hohe Investitionen reichen nicht mehr aus, um innovativ zu sein
- Ein klares Strategieverständnis ist notwendig, um die langfristigen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren
Workpath: Viele Pharmaunternehmen strukturieren ihre Geschäftsbereiche um, sobald wichtige Patente auslaufen, und setzen ihre Mitarbeiter/innen für neue wichtige Projekte ein. Jetzt, während des wirtschaftlichen Abschwungs, können weitere Umstrukturierungen notwendig sein, um kosteneffizienter zu werden. Was müssen Pharmaunternehmen tun, um das Engagement ihrer Mitarbeiter/innen bei all diesen strukturellen Veränderungen nicht zu verlieren?
Doru: Aus geschäftlicher Sicht ist dies etwas, das man im Voraus planen kann und das einen normalerweise nicht überrascht. Unternehmen, die sich stark auf ihre Produktpalette und Medikamentenpipeline konzentrieren, müssen sich oft von Mitarbeitern trennen. Breitere Pharmaunternehmen sind jedoch in der Regel in der Lage, ihre Talente in eine andere Geschäftseinheit zu versetzen. Manchmal gibt es sogar eine ganze Geschäftseinheit, die sich nur mit den Produkten beschäftigt, deren Patentschutz abgelaufen ist. In diesem Fall arbeitet ein Teil deines Unternehmens an innovativen Medikamenten, die patentgeschützt sind. Und ein anderer Teil deines Unternehmens kümmert sich um die Wartung und den Service, wenn der Patentschutz abgelaufen ist.
Aber es ist wichtig, dass Pharmaunternehmen verstehen, dass sie den Mitarbeitern, die "herumgeschoben" werden, eine Richtung und ein Ziel vorgeben müssen. Das gibt ihnen ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit. Deshalb ist es wichtig, ihnen neue Ziele zu setzen und ihnen zu zeigen, dass ihre Arbeit immer noch einen Beitrag zur Strategie und zum Erfolg des Unternehmens leistet, auch wenn das Produkt, an dem sie früher gearbeitet haben, nicht mehr patentgeschützt ist.
Zusammenfassung:
- Es ist wichtig, deinen Mitarbeitern nach der Umstrukturierung von Geschäftsbereichen ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit zu geben
- Neue Ziele zu setzen und ihnen zu zeigen, dass ihre Arbeit einen Sinn hat, muss oberste Priorität haben, um keine Talente zu verlieren
Fazit
Alles in allem ist die Pharmaindustrie von den Auswirkungen des veränderten Wirtschaftsklimas nicht verschont geblieben. Es ist eine Zeit des Wandels und es gibt immer noch viel Aufruhr in der Branche, was zu einem starken Druck führt, die Effizienz zu steigern und die Kosten so weit wie möglich zu senken. Die größte Herausforderung dabei ist der Mangel an Klarheit und Fokus auf die zu verfolgende strategische Richtung. Aus diesem Grund müssen Pharmaunternehmen jetzt ihre starren Strukturen und Silos aufbrechen und ihre Teams agiler und strategischer ausrichten. Bleib dran für unseren nächsten Artikel im Workpath Magazine, um zu erfahren, wie OKRs und Outcome Management hier ins Spiel kommen.